Kindswohlgefährdungen bei Trennungskonflikten
Scheidungs-, Obsorge-, Unterhalts- und Besuchsrechtsstreitigkeiten können zu erheblichen Belastungen und Kindswohlgefährdungen führen. Das zeigen die oft jahrelangen Verfahren beim Pflegschaftsgericht, aber auch die Fallarbeit von OSKJ und anderer Beratungsstellen. Das Kindschaftsrecht bietet insbesondere bei hochstrittigen Scheidungsverfahren keine wirksame Handhabe zum Schutz betroffener Kinder. Daran hat auch die Einführung der gemeinsamen Obsorge als Regelfall im Jahr 2015 nichts geändert. Das Ziel der damaligen Reform, die elterliche Zusammenarbeit bei Trennung oder Scheidung zum Schutz des Kindswohls zu stärken, funktioniert nicht bei hochstrittigen Trennungen und Scheidungen. In diesen Fällen werden im Gegenteil die Gefährdungen für das Kind grösser und gravierender.
Der Expertenausschuss unter der Istanbul-Konvention GREVIO hat in verschiedenen Staaten festgestellt, dass nach einer Trennung oder Scheidung bestehende Konflikte nicht enden, sondern sich sogar verstärken können. Gerichtliche Umgangs- und Sorgerechtsregelungen können dies verstärken, wenn sie ohne ausreichende Berücksichtigung der Sicherheitsbedürfnisse der Kinder getroffen werden. Der UNO-Kinderrechtsausschuss betont in seinen Allgemeinen Bemerkungen, dass Trennungs- oder Scheidungssituationen für Kinder traumatisierend sein können, insbesondere wenn sie mit Streit oder Gewalt konfrontiert werden. Der Ausschuss fordert daher, dass solche Situationen als Formen der Gewalt gegen Kinder anerkannt und entsprechend behandelt werden.
Seit 2019 wurden von der OSKJ sechs behörden- und organisationsübergreifende „Runde Tische Obsorge“ einberufen, die sich mit Lösungsansätzen befassten. 2021 ging aus dem Runden Tisch die Arbeitsgruppe Obsorge unter der Leitung der OSKJ hervor. Die aus behördlichen und privaten Fachpersonen zusammengesetzte Arbeitsgruppe erarbeitete verschiedene Empfehlungen zur Verbesserung der Situation. Insbesondere sah sie die Notwendigkeit einer verpflichtenden Elternberatung im Vorfeld der gerichtlichen Trennung oder Scheidung sowie einer bei Bedarf angeordneten Elternberatung im Laufe des Ehescheidungsverfahrens. Weiters empfiehlt die Arbeitsgruppe die Einführung einer Kinderbeistandschaft, welche in besonders belastenden Verfahren durch den Kinder- und Jugenddienst eingesetzt werden kann, um die Interessen des Kindes zu vertreten.
Ende 2023 legte die Arbeitsgruppe der Justizministerin nahe, im Zug der Einführung der Ehe für alle auch die Empfehlungen der Arbeitsgruppe in die Gesetzesrevision einzubeziehen und bot dabei ihre Unterstützung an. Im Berichtsjahr bestand kein politischer Wille zur Umsetzung der Empfehlungen der AG Obsorge. Ihre Forderungen bleiben pendent.
Die Empfehlungen der Arbeitsgruppe Obsorge von 2023 zur Revision des Kindschaftsrechts umsetzen. Insbesondere die Einführung einer verpflichtenden und angeordneten Elternberatung und eine stärkere Berücksichtigung des Kindeswohls und Kindeswillens bei Verfahren zu Scheidung, Obsorge und Besuchsrecht.