Häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt
Häusliche Gewalt
Die 2019 eingerichtete Fachstelle Bedrohungsmanagement der Landespolizei ist die polizeiinterne Koordinationsstelle für häusliche Gewalt. 2024 wurden 16 (26) Fälle registriert, bei denen drei polizeiliche Wegweisungen und ein Betretungsverbot ausgesprochen wurden. Insgesamt gingen 195 Meldungen zu häuslicher Gewalt oder Konflikten bei der Polizei ein. Aufgrund einer angepassten Definition (seit 2023) sind Vorjahresvergleiche nur bedingt möglich. 2024 wurden 51 Fälle häuslicher Gewalt angezeigt (2023: 69).
Im Berichtsjahr betreute das Frauenhaus Liechtenstein 19 (Vorjahr: 17) Frauen und 23 (15) Kinder stationär wegen häuslicher Gewalt. Die Anzahl der Belegtage stieg deutlich an. Zusätzlich fanden 72 telefonische Beratungen statt. Die ambulante Beratungsstelle, die seit November 2024 zu den Öffnungszeiten voll besetzt ist, begleitete 27 Klientinnen kurz-, mittel- oder langfristig. Die Informations- und Beratungsstelle für Frauen (infra) verzeichnete 10 Kontaktnahmen aufgrund von Gewalt an Frauen, darunter körperliche, sexuelle, psychische oder wirtschaftliche Gewalt.
Die Opferhilfe registrierte 56 (45) neue Beratungsfälle, darunter 8 (11) Fälle häuslicher Gewalt, 11 (10) Fälle sexueller Gewalt und 2 (3) Fälle sexueller Gewalt an Minderjährigen. Der Verein für Männerfragen beriet 3 gewaltbetroffene und eine gewaltausübende Person.
Geschlechtsspezifische Tötungsdelikte
Im Jahr 2024 verzeichnete Europa weiterhin besorgniserregende Zahlen bei gezielten Tötungsdelikten an Frauen innerhalb enger sozialer Beziehungen (Femiziden), wobei die Dunkelziffer aufgrund unvollständiger oder nicht standardisierter Datenerhebung vermutlich höher liegt. In Österreich wurden 2024 insgesamt 27 Femizide registriert, wobei mehr als die Hälfte der Opfer über 60 Jahre alt war. Die Mehrheit der Taten ereignete sich im familiären oder partnerschaftlichen Umfeld. In der Schweiz wurden gemäss dem Bundesamt für Statistik 2024 im häuslichen Bereich 26 vollendete Tötungsdelikte verzeichnet (2023: 25), das waren 57,8% aller polizeilich registrierten vollendeten Tötungsdelikte in der Schweiz (Total: 45). Von den 26 Opfern wurden 19 innerhalb einer aktuellen oder ehemaligen Partnerschaft getötet (17 Frauen und 2 Männer). Innerhalb einer Familien- oder anderen Verwandtschaftsbeziehung wurden eine Minderjährige und 6 erwachsene Personen (eine Frau, 5 Männer) getötet. Die obigen Zahlen aus der Schweiz zeigen, dass es auch Tötungsdelikten innerhalb enger sozialer Beziehungen an Männern gibt (Androzide).
Bei häuslicher Gewalt ist insgesamt von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, da viele Opfer aus Scham oder Angst vor Stigmatisierung keine Hilfe suchen. Die aktuellen Entwicklungen unterstreichen die Notwendigkeit, häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt als besorgniserregendes gesellschaftliches Problem anzuerkennen und Gegenmassnahmen zu ergreifen. Es bedarf weiterer Forschung und Sensibilisierung, um betroffenen Menschen die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen.
Istanbul-Konvention
Liechtenstein ratifizierte 2021 die Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt des Europarats. Am 31. Mai des Berichtjahres erfolgten erstmals Empfehlungen der Expertenkommission (GREVIO) an Liechtenstein, über deren Umsetzung die Regierung bis spätestens Ende Mai 2027 berichtet werden muss.
Die Empfehlungen beinhalten unter anderem die Erstellung eines nationalen Umsetzungsplans mit klaren Zielen, Zeitplänen und Verantwortlichkeiten, um Massnahmen strategisch und verbindlich umzusetzen. Zudem wird eine eindeutige gesetzliche Definition häuslicher Gewalt gefordert, damit Betroffene, Behörden und Gerichte einheitliche Grundlagen haben und Lücken im Rechtsschutz vermieden werden. Weitere Empfehlungen betreffen den Ausbau spezifischer Hilfsangebote für besonders gefährdete Gruppen wie Betroffene von Zwangsheirat und weiblicher Genitalverstümmelung sowie den Ausbau staatlicher Koordinationsstrukturen, damit Prävention, Schutzmassnahmen und Strafverfolgung dauerhaft gesichert sind. Für das laufende Jahr wurde von der Regierung die GREVIO-Empfehlung zur Schaffung einer verpflichtenden Gewaltpräventionsberatung im Umfang von sechs Stunden und die Einführung gerichtliche Ersatzmassnahmen zur Rückfallprävention von Tatpersonen priorisiert. Die gesetzliche Umsetzung ist für Frühjahr 2025 geplant.
Nichtstaatliche Fachstellen wie das Frauenhaus, die infra und der VMR unterstützen die geplanten Massnahmen. Ergänzend zur Täterberatung fordern sie aber auch einen stärkeren Opferschutz. Insbesondere muss bei wiederholter Gewalt frühzeitiger und systematischer eingegriffen werden. Dazu muss das Verfahren zur Wegweisung und zum Betretungsverbot einfacher und restriktiver geregelt werden, um den Grundsatz „wer schlägt, der geht“ konsequent umzusetzen. Weiters muss die Erhebung von Daten und die Erfassung relevanter Risikofaktoren aufgebaut werden, um Entwicklungen zu erkennen und gezielte Massnahmen zu entwickeln.
Ausserdem ist die Konvention bei Behörden und Beratungsstellen grundsätzlich zu wenig bekannt – vor allem hinsichtlich Gewaltdefinition, rechtlicher Verbindlichkeit und Reichweite. Hier ist eine breit angelegte Weiterbildung nötig, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, klare Abläufe und Verantwortlichkeiten festzulegen und eine einheitliche Haltung aller beteiligten Stellen sicherstellen.
Um diese und andere Massnahmen wirkungsvoll umsetzen zu können, braucht es den Aufbau von Personal bei der zuständigen koordinierenden Stelle. Derzeit wird die Umsetzung von einer Arbeitsgruppe koordiniert, die ohne zusätzliche Ressourcen mandatiert worden ist. In dieser Weise ist eine Umsetzung der Konvention nicht möglich.
Mehr Ressourcen und eine nationale Gewaltschutzstrategie zur Umsetzung der Istanbul-Konvention bereitstellen. Das Verfahren zur Wegweisung und zum Betretungsverbot bei häuslicher Gewalt überarbeiten. Eine breit angelegte Weiterbildung zur Istanbul-Konvention bei Justiz, Polizei und staatlichen sowie nichtstaatlichen Fachstellen durchführen.