Haft
Im Berichtsjahr waren gemäss Rechenschaftsbericht der Regierung insgesamt 77 (Vorjahr 48) Personen im Landesgefängnis inhaftiert, 29 mehr als im Vorjahr. Davon waren 69 (Vorjahr 46) Männer und 8 (Vorjahr 2) Frauen. Bei 18 der inhaftierten Personen handelte es sich um Asylsuchende, die im Rahmen des Wegweisungsvollzugs gemäss Asylgesetz inhaftiert wurden, um ein Untertauchen zu verhindern. Der Grossteil dieser Inhaftierungen erfolgte im Rahmen des Dublin-Verfahrens, d.h. die Wegweisung erfolgte in Dublin-Staaten. Unter den inhaftierten Personen befanden sich keine (Vorjahr 0) Jugendlichen. 2024 wurden insgesamt 4‘152 Hafttage (Vorjahr 3‘566) in Vaduz verbüsst.
Landesgefängnis
Der liechtensteinische Präventionsmechanismus (NPM) unter der UNO-Antifolterkonvention (CAT) und die Strafvollzugskommission (identisch besetzt) besuchten im Berichtsjahr vier Mal unangekündigt das Landesgefängnis. In ihren jährlichen Berichten halten die Gremien fest, dass das Landesgefängnis vorbildlich geführt wird und der Strafvollzug den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Sie erhielten bei ihren Besuchen uneingeschränkten Zugang zu allen gewünschten Räumen und konnten ungestörte Gespräche mit Inhaftierten führen. Die inhaftierten Personen berichteten von sehr guten Haftbedingungen und einem respektvollen Umgang durch die Strafvollzugsbeamten. Die Beschäftigungsmöglichkeiten werden nach wie vor als beschränkt, im Berichtsjahr jedoch als ausreichend beurteilt. Demgegenüber bemängelt der Antifolter-Ausschuss der UNO in seinem neuen Bericht von 2024 die Beschäftigungsangebot und fordert, den Zugang zu Ausbildung, allgemeiner Bildung sowie zu Freizeit- und Kulturangeboten zu verbessern, besonders für Frauen.
Der nationale Präventionsmechanismus (NPM) und die Strafvollzugskommission beobachten besorgt seit Jahren eine Zunahme von psychisch auffälligen Inhaftierten. Der Antifolter-Ausschuss der UNO kritisiert, dass kein medizinisches Fachpersonal in Landesgefängnis angestellt ist. Er verweist auf die sogenannten Nelson-Mandela Regeln, nach denen Gefangene bei der Aufnahme ins Gefängnis und später so oft wie nötig ärztlich untersucht werden, um gesundheitliche Probleme, ansteckende Krankheiten oder Anzeichen von Misshandlung rechtzeitig festzustellen. Er fordert Liechtenstein auf, dies entsprechend umzusetzen. Ausserdem verweist er auf den Bedarf an genügend personellen Ressourcen.
Einzelhaft
Die Bestimmungen im Strafvollzugsgesetz zu Einzelhaft für Erwachsene bis zu vier Wochen und für Jugendliche bis zu zwei Wochen, verstossen gemäss Bericht des UNO-Antifolter-Ausschusses (CAT) von 2024 gegen geltende internationale Standards und sollten geändert werden. Der Antifolter-Ausschuss weist besonders darauf hin, dass Einzelhaft nur in Ausnahmefällen als letztes Mittel, für eine möglichst kurze Zeit und nur nach einer unabhängigen Überprüfung und nur nach Genehmigung durch eine zuständige Amtsperson vorgenommen werden darf. Die Einzelhaft darf zudem nicht als Disziplinarmassnahme gegen Jugendliche eingesetzt werden.
Bauliche Mängel
Die Platzverhältnisse im Landesgefängnis sind mit 20 Haftplätzen, einer Sicherheitszelle und einer Mehrpersonenzelle, einer kleinen Bibliothek, einem Kraftraum und einem kleinen Arbeitsraum seit Jahren sehr beengt. Ausserdem weist das 1991 erbaute Gefängnis insgesamt veraltete Einrichtungen auf. Dass der Platzmangel und die Einrichtung des Landesgefängnis zu verschiedenen, teilweise menschenrechtsbedenklichen Situationen führen, stellt auch der Antifolter-Ausschuss der UNO in seinem aktuellen Bericht zu Liechtenstein von 2024 fest. Der Ausschuss sieht z.B. Handlungsbedarf bei der Trennung von Häftlingen (nach Geschlecht, Alter und Haft-Art), beim Angebot von beruflicher und allgemeiner Bildung, Freizeitaktivitäten und sozialen Kontaktmöglichkeiten.
Nach eigenen Auskünften beobachtet die Landespolizei diese Entwicklungen und ihre Gründe, um daraus «gegebenenfalls Schlussfolgerungen zu ziehen, die künftig strategische und politische Entscheidungen erfordern könnten». Ein geplanter Ausbau des Gefängnisses wurde 2004 letztmals breit diskutiert und im Rahmen eines Referendumsbegehrens von der Mehrheit der liechtensteinischen Bevölkerung abgelehnt. Gemäss Empfehlungen des Antifolter-Ausschusses ist es jedoch angezeigt, einen neuen strategischen Prozess in die Wege zu leiten.
Einen strategischen Prozess zur Erweiterung des Landesgefängnisses angehen, um Mängel bei der Infrastruktur, sowie den Bildungs- und Beschäftigungsangeboten zu beheben.
Haftvollzug im Ausland
Besorgnis bereitet dem Antifolter-Ausschuss der UNO in seinem aktuellen Bericht auch der Haftvollzug im Ausland. Er kann zwar die Gründe nachvollziehen, sieht jedoch einige Aspekte kritisch: so kann Liechtenstein nicht sicherstellen, dass grundlegende Rechtsgarantieren gegen Folter und Misshandlung im Ausland gewährleistet sind, da Behördenbesuche und Besuche des nationalen Präventionsmechanismus im Ausland nicht möglich sind. Auch sieht er Klärungsbedarf bei Rechtsunsicherheiten z.B. hinsichtlich der Zuständigkeit Liechtensteins bei Foltervorwürfen, der Entgegennahme von Beschwerden dazu und die Sicherstellung eines ungehinderten Zugangs zu unabhängigen Rechtsbeiständen für im Ausland inhaftierte Personen. Des Weiteren kritisiert er, dass die Möglichkeit von Sozialkontakten (Familienbesuche) im Ausland erschwert ist. Der Ausschuss würde es daher bevorzugen, wenn alle Haften im Inland vollzogen und entsprechende Kapazitäten geschaffen würden.
Kontaktrecht von Familien
Ein menschenrechtlich sensibles Thema ist das familiäre Kontaktrecht von Inhaftierten. Das Kontaktrecht ist in den allgemeinen Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarats zu den Rechten der Kinder von Inhaftierten (Rec. 2018/5), in der UNO-Kinderrechtskonvention Art. 3 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 und 4 und in den Grundsätzen der UNO für die Behandlung weiblicher Gefangener («Bangkok-Regeln») verankert. Für Untersuchungshäftlinge gibt es im Landesgefängnis häufig richterliche Einschränkungen zu Besuchs- und Kontaktrechten. Abgesehen davon würden nach Auskunft der Gefängnisleitung die gesetzlichen Besuchs- und sonstigen Kontaktregeln erhöht, wo immer organisatorisch möglich oder menschlich geboten. So würde die Zeitdauer für alle Inhaftierten praktisch verdoppelt, noch grosszügigere Besuchsrechte und Sonderlösungen würden für weit anreisende Besucher: innen, für inhaftierte Frauen, Jugendliche oder Personen, die in faktischer Einzelhaft sind, gewährt. Die telefonischen Kommunikationsmöglichkeiten würden den Inhaftierten in mehrsprachigen Informationsblättern abgegeben. Die gesetzlichen Kontaktrechte und Besucherregeln befinden sich auf der Homepage des Landesgefängnisses. Ein schriftliches Reglement, welches das Besuchsrecht und die Kontaktregelungen von Angehörigen zu Inhaftierten detaillierter regelt, ist – wohl auch aufgrund der individuellen Sonderlösungen - jedoch nicht vorhanden. Ob die erwähnten Sonderlösungen einer kinderrechtskonformen Umsetzung des Kontaktrechts von minderjährigen Kindern zu inhaftierten Elternteilen (auch in der Untersuchungshaft) entsprechen, sollte geprüft werden.
Regeln für das Kontaktrecht von Kindern zu Elternteilen in Haft oder Untersuchungshaft einführen.
Ausländerrechtliche Haft für Minderjährige
Art. 60 Abs. 2 des Ausländerrechts sieht vor, dass Minderjährige über 15 Jahren in Haft genommen werden können. Zur ausländerrechtlichen Haft fordert die Expertengruppe unter dem UNO-Antifolterkonvention in ihrem Bericht von 2024 die Sicherstellung, dass Kinder und Familien nicht nur wegen ihres Migrationsstatus inhaftiert werden sollen. Stattdessen sollen alternative Unterbringungsmöglichkeiten genutzt werden. Zudem soll Liechtenstein unbegleitete minderjährige Asylsuchende oder von ihren Eltern getrennte Kinder besser betreuen – durch ein kindgerechtes Betreuungssystem, das auf das Wohl und die individuellen Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet ist.