2 - Armut

Auf internationaler Ebene definiert der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Armut als einen menschlichen Zustand, charakterisiert durch einen anhaltenden oder chronischen Mangel von Ressourcen, Fähigkeiten, Wahlfreiheit, Sicherheit und Macht, um einen angemessenen Lebensstandard oder anderweitige wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte geniessen zu können. Es ist daher wichtig, dass Armut von staatlicher Seite mit einem menschenrechtsbasierten Ansatz angegangen wird. Ein solcher Ansatz stellt sicher, dass Armut mehrdimensional verstanden wird.

Auch die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung unterstützt den Ansatz, dass Strategien zur Reduktion von Armut nicht nur auf die monetären Aspekte der Armut fokussiert sein sollen, sondern mit Strategien einher gehen, die eine Reihe von sozialen Bedürnissen ansprechen. Dazu gehörden Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit und Arbeitsmöglichkeiten. Gleichzeitig muss auch der Klimawandel angegangen und Umweltschutz sichergestellt werden.

Armut verletzt oder bedroht eine Vielzahl von Menschenrechten, z.B. das Recht auf Gesundheit, auf angemessenes Wohnen, auf politische Teilhabe und auf soziale Sicherheit. Auch das Recht auf ein faires Verfahren kann eingeschränkt sein. Extreme Armut gefährdet zudem das Recht auf Nahrung und das Recht auf sauberes Wasser. Frauen sind weltweit besonders von Armut betroffen. Stark armutsgefährdet sind ausserdem arbeitslose Personen und chronisch Kranke, alleinerziehende Eltern sowie verletzliche oder marginalisierte Gruppen, z.B.  Menschen mit Behinderungen, Migrantinnen und Migranten oder Flüchtlinge.

Die Leitprinzipien des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte zu Extremer Armut und Menschenrechte von 2012 legt den Grundstein für einen menschenrechtsbasierten Ansatz der Armutsbekämpfung. Der Leitfaden des Europäischen Netzwerks für nationale Menschenrechtsinstitutionen (ENNHRI) von 2019 identifiziert sieben Prinzipien, wie europäische Staaten Armut bekämpfen können. Der Leitfaden basiert auf der Studie des UNO-Sonderberichterstatters zu extremer Armut und Menschenrechte von 2021.

Sieben Prinzipien, wie europäische Staaten Armut bekämpfen können (Europäisches Netzwerk für nationale Menschenrechtsinstitutionen):

  1. Verpflichtung: Staatliche Strategien zur Armutsbekämpfung sollen als rechtliche Verpflichtung anerkannt und umgesetzt werden.
  2. Gleichheit und Nichtdiskriminierung: Armut kann durch Diskriminierung entstehen – Gleichzeitig kann Diskriminierung durch Armut entstehen. Eine Politik der Chancengleichheit kann diesen Zyklus verhindern.
  3. Teilhabe: Menschen in Armut sollen aktiv, frei, informiert und sinnvoll an der Ausarbeitung, der Umsetzung, Beobachtung und Überprüfung von politischen Entscheidungen Strategien teilhaben.
  4. Erhebung disaggregierter Daten: Die Erhebung von Armut soll nicht nur wirtschaftliche Kennzahlen umfassen, sondern identifizieren, welche Personen(gruppen) arm sind, wie diese Personen(gruppen) Armut erfahren und welche Personen(gruppen) besonders ausgeschlossen oder marginalisiert sind.
  5. Verwendung vielfältiger Erhebungsmethoden, um alle Menschen in Armut zu erfassen: Die meisten offiziellen Statistiken zur Armut basieren auf Haushaltsumfragen. Nicht darin eingeschlossen sind die so genannten „missing poor“, Personen in Armut, die in Heimen leben (z.B. ältere Menschen, Kinder, Menschen mit Behinderungen), nichtdokumentierte Migranten, Obdachlose oder schwer erreichbare Personen. Mit einem multidimensionalen Ansatz sollen diese Personen erfasst und sichtbar gemacht werden.
  6. Zugang zu Rechten und Leistungen: Viele Menschen, die in Armut leben, sind auf verschiedene Sozialleistungen und Unterstützungen angewiesen. Um Zugang zu diesen Leistungen und damit zu ihren Rechten zu erlangen, müssen sie viele Barrieren überwinden. Dies führt oft zur Nicht-In-Anspruchnahme von Leistungen bzw. Nichtwahrnehmung von Rechten. Staaten müssen Massnahmen treffen, damit der Zugang zu den Rechten gewährt wird, z.B. über Information, Begleitung oder Vereinfachung von Prozessen.
  7. Schutz von persönlichen Daten: Bei der Erhebung und Verarbeitung von Daten über Menschen, die in Armut leben, ist es von entscheidender Bedeutung, angemessene Schutzmaßnahmen zu gewährleisten. Als Minimum sind der Schutz personenbezogener Daten, Selbstidentifizierung (z.B. bei der Zuordnung zu einer Gruppe) und Transparenz zu gewährleisten.

Armutsbericht Liechtenstein

Das Amt für Statistik veröffentlichte im Mai 2023 den ersten Armutsbericht seit 2008 mit dem Titel Armutsgefährdung und Armut 2020. Dieser statistische Armutsbericht zeigt auf, dass es auch in Liechtenstein Armut gibt. Rund 14 Prozent der Bevölkerung galt 2020 zudem als armutsgefährdet. Am stärksten gefährdet waren dabei Einpersonen- und Einelternhaushalte, in denen rund jede vierte Person als armutsgefährdet gilt.

Im Frühjahr 2021 erstelle Lisa Hermann im Rahmen ihres Masterstudiums der Sozialen Arbeit an der ZHAW eine qualitative Studie zur Herausforderung Armut in Liechtenstein:

Runder Tisch Armut

Die Caritas Liechtenstein lud am 2. Juli 2019 zum ersten Runden Tisch Armut ein. Neben der Caritas und dem VMR nahmen die Stiftung Liachtbleck und die Hand in Hand Anstalt, die Informations- und Beratungsstelle für Frauen, das Frauenhaus Liechtenstein, der Verein Tellerrand sowie die Arbeitsgruppe Nachhaltigkeitsziele des Netzwerks für Entwicklungszusammenarbeit daran teil. Alle Teilnehmenden waren sich darüber einig, dass in Liechtenstein relative Armut existiert. 2020 fand der zweite Runde Tisch Armut mit einem erweiterten Kreis an Teilnehmenden statt, inkl. Vertreter betroffener Amtsstellen. Neu dabei waren die Vereinigung liechtensteinischer gemeinnütziger Stiftungen, die Stiftung Zukunft.li sowie das Amt für Soziale Dienste.