VMR-Stellungnahme zum Leistungsaufschub der Krankenkassen

02.12.2019

Die gesetzliche Verankerung des Leistungsaufschubs der Krankenkassen bei Zahlungsverzug von Versicherten ist aus menschenrechtlicher Sicht bedenklich. Trotz Anmerkungen in der Vernehmlassung werden die bisherigen Vorschriften zum Zahlungsverzug inhaltlich unverändert in den Gesetzesvorschlag übernommen.

Die aktuelle Praxis birgt die Gefahr, dass Menschen in ihrem Recht auf Gesundheit eingeschränkt werden. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte schützt in Art. 25 das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, auf Gesundheit und Wohlbefinden. Mit der Ratifikation des UNO-Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Art. 12) hat sich Liechtenstein für den diskriminierungsfreien Zugang zu den vorhandenen Gesundheitseinrichtungen verpflichtet.

Eine gesetzliche Bestimmung, die Gesundheitsleistungen verwehrt, sollte eine Differenzierung vornehmen zwischen Personen, die die Krankenkassenbeiträge nicht zahlen können und solchen, die diese nicht zahlen wollen. Ersteres verstösst gegen das Recht auf Gesundheit. Zwar sind medizinische Notfallbehandlungen auch im Leistungsaufschub möglich. Es fehlt jedoch eine Definition was solche Notfallbehandlungen umfassen.

Gemäss der Gesetzesvorlage kann ein Leistungsaufschub verhängt werden, nachdem die erste Mahnungsfrist abgelaufen ist. Es liegt dann im Ermessen der jeweiligen Krankenkasse, wie strikt sie diesen umsetzt. Die Kulanzbereitschaft ist unterschiedlich. Mit Blick auf das Prinzip der Gleichbehandlung wäre eine klare, gesetzlich verankerte Handlungsanweisung angebracht.

Die Wirkung des Leistungsaufschubs ist grundsätzlich in Frage zu stellen: Die Anzahl der Versicherten, die von einem Leistungsaufschub betroffen sind, ist in den letzten Jahren von 167 Personen Ende 2017 auf 290 Personen im Februar 2019 angestiegen. Zudem werden die Unterstützungsbeiträge verschiedener karitativer Einrichtungen zunehmend für die Bezahlung von Krankenkassenprämien oder Krankheitskosten benötigt.

Der VMR empfiehlt deshalb eine Untersuchung der Lebenssituation der betroffenen Versicherten, bevor ein Leistungsaufschub verhängt wird. Liegen wirtschaftliche, soziale oder gesundheitliche Probleme dem Zahlungsverzug zugrunde, sollten diese mit einem Case-Management-Systems angegangen werden. Der Ausschluss von Gesundheitsdienstleistungen durch die Verhängung eines Leistungsaufschubs ist in diesen Fällen keine menschenrechtskonforme Lösung.